Das historische Dokument:
Zur Geschichte der Hochbahngesellschaft,
Berlin
Dr. Ing. Wittig
Direktor der Gesellschaft für elektrische Hoch- und Untergrundbahnen in Berlin
Vorbemerkung
In jüngster Zeit sind in Verhandlungen und auch in der Presse Betrachtungen über die Schnellbahnverhältnisse Berlins angestellt worden, bei denen Ansichten über die bisherige Tätigkeit der Hochbahngesellschaft geäußert wurden, die der Aufklärung bedürfen. Namentlich handelt es sich um Urteile über die Ausbildung des Berliner Schnellbahnnetzes im Vergleich zum Pariser System, über mangelnde Fürsorge der Hochbahngesellschaft für den Schnellverkehr im Berliner Osten und Norden und über die Finanzpolitik der Gesellschaft.
Die Zeit, in der die Hochbahngesellschaft ihre Linien gebaut und entwickelt hat, ist von der Gegenwart durch die lange Kriegs- und Nachkriegsperiode getrennt. Es ist daher zu verstehen, daß für den Beurteiler der heutigen, mit gewissen Schwierigkeiten verbundenen Lage die Zusammenhänge nicht ohne weiteres klar zu Tage liegen und sich über die langjährige Tätigkeit der Gesellschaft Auffassungen herausbilden können, die den Tatsachen widersprechen. Daher hat sich der Unterzeichnete für verpflichtet gehalten, die Verhältnisse unter Heranziehung vorhandenen Quellenmaterials ausführlicher zu beleuchten.
B e r l i n, im
Dr. ing. W i t t i g,
Direktor der Hochbahngesellschaft
I. Vergleich der Schnellbahnverhältnisse in Berlin und Paris
Es ist behauptet worden, die Hochbahngesellschaft habe ihre Aufgaben nicht großzügig genug angefaßt, und es liege an ihr, wenn Berlin kein einheitliches Schnellbahnnetz aufweise wie Paris, sondern nur eine Anzahl Einzellinien besitze.
Zum Nachweis dafür, dass diese Auffassung unberechtigt ist, soll im folgenden die Entwicklung des Berliner und Pariser Schellbahnwesens näher betrachtet werden.
1) Zur Entstehung der Berliner Schnellbahnen
a) Stammlinien der Hochbahngesellschaft
Zuverlässiges Material über die Entstehung und Entwicklung der Berliner Schnellbahnen bieten neben anderen Veröffentlichungen die jährlichen Verwaltungsberichte des Magistrats und die für Zeiträume von je fünf Jahren herausgegebenen Berichte über die Gemeindeverwaltung der Stadt Berlin. Im folgenden wird namentlich auf den zweiten Teil des Berichtes über die Gemeindeverwaltung in den Jahren -, nachstehend kurz der „Bericht" genannt, Bezug genommen werden. Die wichtigeren Abschnitte sind mit Hervorhebung einzelner Stellen dieser Schrift als Anhang beigefügt.
Berlin hatte die erste Anwartschaft auf die Einführung elektrischer Schnellbahnen, denn es war die Wirkungsstätte des Begründers des elektrischen Bahnbetriebes, Werner von Siemens. in der Tat verfolgte er nach Vorführung seiner Versuchsbahn auf der Berliner Gewerbeausstellung von unablässig den Plan, seine Schnellbahngedanken zunächst in Berlin zu verwirklichen. Nach den bekannten langwierigen Vorarbeiten legte die Firma Siemens & Halske Anfang des Jahres ein umfangreiches Projekt elektrischer Schnellbahnen vor (Seite 10 des Berichtes).
Die Vorschläge mussten damals auf Hochbahnen beschränkt bleiben, weil Unterpflasterbahnen, namentlich wegen der im Bau befindlichen Kanalisationsanlagen, seitens der Berliner Gemeindeverwaltung nicht zugelassen wurden; Stadtbaurat Hobrecht, der Schöpfer der Berliner Kanalisation, trat der Herstellung von Unterpflasterbahnen nachdrücklich entgegen (Seite 11 des Berichtes). Der Durchführung von Hochbahnlinien aber bot der Stadtplan grosse Schwierigkeiten, weil im Innern Berlins, namentlich in dem engbebauten Kern - der früheren Festung - geeignete durchgehende Strassenzüge nicht vorhanden waren. So kam es, daß aus dem von der Firma Siemens & Halske vorgelegten Gesamtentwurf im Benehmen mit den zuständigen Behörden zunächst die Trasse einer
Hochbahnlinie von der Warschauer Brücke über das Hallesche Tor, den Nollendorfplatz bis zum Zoologischen Garten mit Abzweigung nach dem Potsdamer Platz
für die Ausführung festgestellt wurde. Der Zustimmungsvertrag über den auf Berliner Gebiet liegenden Teil dieser Stammlinie kam zwischen der Stadtgemeinde und der Firma Siemens & Halske zum Abschluss, dem die Zustimmung der Nachbarstädte Schöneberg und Charlottenburg für die Streckenabschnitte auf deren Gebiet folgte. Hierzu ist zu bemerken, dass der Berliner Magistrat damals nicht willens war, das Risiko für die Durchführung der neuartigen und wirtschaftlich noch ungeklärten Verkehrspläne selbst zu übernehmen (zu vergl. F. Baltzer, Die elektr. Stadtbahn in Berlin).
Zur Durchführung des Bahnunternehmens und seiner späteren Erweiterungen wurde von Siemens & Halske in Verbindung mit der Deutschen Bank im Jahre die Hochbahngesellschaft gegründet.
Im gleichen Jahre, kurz nach Beginn der Bauausführungen, trat ein Wechsel in der Leitung des Berliner Tiefbauwesens ein. Unter dem Einfluß von Hobrechts Nachfolger, Stadtbaurat Krause, wurde zwar das Vorurteil gegen Unterpflasterbahnen angesichts der inzwischen von der Firma Siemens & Halske in Budapest ausgeführten Untergrundbahn fallen gelassen, aber die weitere Planung von Schnellbahnen im Berliner Stadtgebiet der Firma Siemens & Halske aus der Hand genommen; die Stadt beanspruchte als Straßenherrin, die Aufstellung der Projekte für die Folge selbst zu übernehmen; auch beabsichtigte sie, das Bahnnetz nach neuen Gesichtspunkten zu gestalten. Es sollten fortan nur Unterpflasterbahnen hergestellt, und „jede Unterpflasterbahn unabhängig von der Hochbahn und von jeder anderen Linie gleicher Art betrieben werden".
Im Bericht der Gemeindeverwaltung heißt es hierüber:
„Ein auf dieser Grundlage von der Verkehrsdeputation aufgestellter Plan eines umfassenden Netzes von Unterpflasterbahnlinien, der zur Ermöglichung des Umsteigens an allen Kreuzungs- oder Treffpunkten Turmstationen vorsah, fand die Billigung des Magistrats."
Bei diesem Plan handelte es sich also um ein aus Einzellinien mit Pendelbetrieb zusammengesetztes Untergrundbahnnetz, im Gegensatz zu dem von der Firma Siemens & Halske projektierten Verzweigungsnetz. Eine solche Spaltung in den Bestrebungen konnte naturgemäß auf die weitere Entwicklung des Berliner Schnellbahnwesens nicht ohne hemmenden Einfluß bleiben, weil die von beiden Seiten verfolgten Pläne nicht miteinander in Einklang zu bringen waren.
b) Erweiterungen der Stammlinie
Den vereinten Bemühungen der Firma Siemens & Halske und der Hochbahngesellschaft, die die Genehmigung für den Bau und Betrieb der Verlängerung ihrer Stammlinie vom Potsdamer Platz in das Stadtinnere, zunächst bis zum Spittelmarkt, zu erreichen suchten, wurde von den Vertretern der Stadt lebhafter Widerstand entgegengesetzt. Dem Einfluss der Aufsichtsbehörden war es zuzuschreiben, dass der Gesellschaft schliesslich doch die Ausführung dieses Bahnzweiges zugestanden wurde. Das hatte dann die weitere Folge, daß der Hochbahngesellschaft im Berliner Weichbild auch noch die Verlängerung zum Alexanderplatz und die hier gabelförmig abzweigenden Linien nach Norden und Osten, ferner eine Verstärkungslinie vom Gleisdreieck zum Wittenbergplatz zugebilligt wurden ( und ), alles Linienabschnitte, die zum organischen Ausbau des Bahnnetzes nötig waren.
Bei den Nachbargemeinden Charlottenburg und Wilmersdorf fanden die Vorschläge für Erweiterungen und Verzweigungen der Stammlinie - die vom Nollendorfplatz ab nicht, wie ursprünglich vorgesehen, als Hochbahn, sondern auf Verlangen der Stadt Charlottenburg als Untergrundbahn auszuführen war - bereitwillige Aufnahme, so dass der Ausbau des Netzes nach Westen hin schnell von statten ging. Von besonderer Bedeutung war dabei der Gedanke, die Schnellbahn zur Aufschliessung unbebauter oder schwach besiedelter Aussengebiete zu verwenden. Er wurde zuerst für ein von der Deutschen Bank in Westend erworbenes Gelände verwirklicht und bald darauf auch von Wilmersdorf und Dahlem aufgenommen; auch dem Plan der Schöneberger Bahn lag dieser Gedanke zugrunde.
c) Städtische Linien
Das von der städtischen Verkehrsdeputation geplante Liniennetz wurde im weiteren, wie der Bericht sagt, als gescheitert angesehen und aufgegeben. Dafür verfolgte die Stadt nun die Durchführung einzelner Schnellbahnlinien und zwar zunächst der Nordsüdbahn. Es verging aber, auch wegen eines Einspruchs der Straßenbahn, eine Reihe von Jahren, ehe der erste Rammschlag für diese Linie getan werden konnte (). Der Eintritt des Krieges mit seinen ungünstigen wirtschaftlichen Folgen hat dann den Bau dieser Linie verzögert und die Ausführung weiterer Entwürfe der Stadt behindert. So konnte die geplante Linie Moabit — Treptow bisher noch nicht begonnen werden. Der Bau der s. Zt. der A. E. G. überlassenen Linie Gesundbrunnen - Neukölln kam zum Stillstand; ihre Fertigstellung ist neuerdings von den städtischen Körperschaften ins Auge gefaßt worden.
2) Zur Entstehung des Pariser Schnellbahnnetzes
Das Pariser Schnellbahnnetz ist unter gänzlich anderen Verhältnissen angelegt als das irgend einer anderen Großstadt. In Paris ging man davon aus, lediglich die dichtbebaute Innenstadt, das „eigentliche Paris", mit Schnellbahnen zu überziehen, während diese von den Vorortgebieten grundsätzlich ferngehalten wurden. Unter Verwertung der in Budapest gewonnenen Erfahrungen wurde, von einem bestimmten Grundplan (Skelettplan) ausgehend, zunächst ein Netz von acht Linien entworfen, von denen die erste im Jahre der Weltausstellung eröffnet wurde; die übrigen folgten derart, dass sich Ende jene acht Linien, die ganz überwiegend als Tunnelbahnen hergestellt wurden, im Betriebe befanden. Im Laufe der Zeit wurde dieses Innenstadtnetz dann noch weiter verdichtet.
Das gesamte Netz ist, wie auch in New York, Philadelphia und Boston, nach einem einheitlichen Wirtschaftsplan durchgeführt worden, dessen Grundzüge darin bestehen, dass der Rohbau der Schnellbahnen von der öffentlichen Hand (Stadtgemeinde) auf eigene Kosten errichtet, die Ausrüstung und der Betrieb aber an eine besondere Betriebsgesellschaft mit privatwirtschaftlichem Charakter übertragen worden ist. Von diesem gemischtwirtschaftlichen System ist in Paris indessen nachträglich insofern eine Ausnahme gemacht worden, als die dortige Nordsüdbahn ganz als Privatunternehmen zugelassen wurde. Die Linienführung der Schnellbahnen ist durch die Übersichtlichkeit des Straßennetzes, die technische Durchführung durch den standfesten und wasserfreien Untergrund des Stadtgebietes sehr begünstigt worden.
3. Zusammenfassung
Die vorstehenden Darlegungen über das Entstehen des Berliner und des Pariser Schnellbahnnetzes lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Während in Paris das Schnellbahnwesen nach bestimmtem, allerdings auf das innere Weichbild beschränktem Plane in einheitlichem Zusammenwirken von Staat, Stadt und Privatwirtschaft bei besonders vorteilhaften Bauverhältnissen planmäßig gefördert werden konnte - so daß Ende ein Stammnetz von 8 Linien in Betrieb war -, lagen in Berlin die Entwicklungsbedingungen aus den nachstehenden Gründen wesentlich ungünstiger:
Die Einführung der Schnellbahnen, die anfangs ganz der Privatwirtschaft überlassen war, ist dadurch erschwert worden, daß Untergrundbahnen im Berliner Weichbild damals nicht zugelassen wurden, Hochbahnen im Stadtinnern aber aus Mangel an geeigneten Straßenzügen nicht durchführbar waren. Noch während der Ausführung der Stammlinien beschloß die Stadt Berlin, unter Zurückstellung der Siemens'schen Pläne, den Ausbau des Schnellbahnnetzes nach neuen - in der Folge aber wieder aufgegebenen - Gesichtspunkten selbst in die Hand zu nehmen.
Unter diesen Umständen haben die Firma Siemens & Halske und die Hochbahngesellschaft, nachdem von ihnen die Pionierarbeit für das Berliner Schnellbahnwesen geleistet war, nicht mehr erreichen können, als die Schaffung eines Berlin von Westen nach Osten durchquerenden Liniensystems, das aber von der Gesellschaft durch beiderseitige Endverzweigungen und eine mittlere Verstärkungslinie schrittweise zu einem organisch geschlossenen Teil des künftigen Schnellbahnnetzes von Groß-Berlin entwickelt ist. Aus alledem ergibt sich zweifelsfrei, daß die Hochbahngesellschaft ein Vorwurf nicht treffen kann, wenn das Schnellbahnnetz von Berlin hinsichtlich seiner kilometrischen Ausdehnung gegen Paris aus einer Reihe von Gründen zurückgeblieben ist.
4. Allgemeine Betrachtungen
Nach Aufklärung des Sachverhaltes mögen noch folgende erläuternde Bemerkungen angeschlossen werden.
a) Gestaltung des Gesamtnetzes der Berliner Schnellbahnen
Bei der dargelegten Gegensätzlichkeit in der Entwicklung des Berliner Schnellbahnnetzes könnte eingewendet werden, das Gesamtnetz werde späterhin der Einheitlichkeit ermangeln. Dieser Einwand wäre nicht zutreffend, wie verschiedene - zum Teil veröffentlichte - Zusammenfassungen der vorhandenen und projektierten Linien erweisen*).
*)
P. Wittig, Die Weltstädte und der elektrische Schnellverkehr, Berlin
Wettbewerb um einen Grundplan für die Bebauung von Groß-Berlin .
J. Bousset, Die Erweiterungen der elektrischen Hoch- und Untergrundbahn im Westen Berlins, Zentralblatt der Bauverwaltung, Berlin
E. Giese, Das zukünftige Schnellbahnnetz für Groß-Berlin, Berlin
Wie in Berlin, ist auch in anderen Großstädten die Ausgestaltung des Liniennetzes abschnittweise erfolgt, ausgehend von bestimmten Anfangsstrecken, die im Gebiet der Innenstadt wurzelten. Aus diesen Innenlinien haben sich dann die Netze in natürlichem Aufbau weiter entwickelt. Berlin würde ohne die durch den Krieg erfolgte Unterbrechung in der Durchführung der bereits festgelegten Pläne schon heute ein stattliches, alle Stadtteile versorgendes Schnellbahnnetz besitzen.
b) Planvorschläge der Hochbahngesellschaft
Die Hochbahngesellschaft glaubt, ihre Aufgaben nicht auf einen engen Rahmen beschränkt zu haben; neben ihren Bau- und Betriebsaufgaben ist sie vielmehr unablässig bestrebt gewesen, an den Plänen für die Gesamtgestaltung des Groß-Berliner Schnellverkehrs mitzuarbeiten.
So hat sie am der städtischen Verkehrsdeputation einen Plan für ein dem damaligen Stande des Verkehrswesens entsprechendes Schnellbahnnetz überreicht; sie erhielt darauf jedoch den Bescheid, daß die Verkehrsdeputation der Hochbahngesellschaft aus der Vorlegung dieses Planes in keiner Weise ein Recht auf Priorität zugestehen könne. Bei Genehmigung der Frankfurter Allee-Linie wurde städtischerseits nochmals zum Ausdruck gebracht, daß die Hochbahngesellschaft nun als gesättigt gelte und weitere Linien für sich nicht in Anspruch nehmen dürfe. Nichtsdestoweniger hat späterhin die Gesellschaft nochmals Veranlassung genommen, sich bei den Vorschlägen für die Lösung der Berliner Verkehrsfragen mit zu betätigen. Das war im Jahre bei der Ausschreibung des Wettbewerbs zu einem Grundplane von Groß-Berlin; hier hat sie die den Schnellverkehr betreffenden Unterlagen für die Ausschreibung vorbereitet und sich an dem Wettbewerb auch selbst im Verein mit namhaften Sachverständigen durch ein Projekt beteiligt, dem ein erster Preis zuerkannt worden ist.
c) Zusammenwirken der Stadt mit der Hochbahngesellschaft
Nachdem eine Abgrenzung der beiderseitigen Aufgabenkreise auf dem Gebiete des Schnellbahnwesens erfolgt war, sind die weiteren Aufgaben in erfreulichem Einvernehmen der Beteiligten durchgeführt worden. So hat auch die Hochbahngesellschaft der Stadt stets bereitwillig die eingehendsten Auskünfte über die in ihrer langjährigen Bau- und Betriebstätigkeit gesammelten Erfahrungen erteilt. Nach Wiederaufnahme der im Kriege zum Stillstand gekommenen Arbeiten für die städtische Nordsüdbahn hat sie der Bauverwaltung ihre eigenen Kräfte und ihre Sachverständigen in jedem gewünschten Umfange zur Verfügung gestellt und ferner durch Hergabe eines Teiles ihres Wagenparks den Zwecken der Bahn dienlich sein können. Bei der Eröffnung der Nordsüdbahn ist dies dadurch besonders anerkannt worden, daß von der maßgebenden Stelle die Hochbahngesellschaft als Helferin bezeichnet wurde, ohne deren Mitwirkung diese Bahn damals nicht hätte eröffnet werden können (s. den Bericht im Berliner Tageblatt vom , Morgenausgabe).
Rein privatwirtschaftlich begonnen, hat das Schnellbahnwesen in Berlin im Laufe der Zeit teilweise gemischtwirtschaftlichen Charakter angenommen (Wilmersdorfer, Schöneberger und Nordsüdbahn); zurzeit sind Bestrebungen im Gange, das gesamte Berliner Schnellbahnwesen in eine einheitliche Wirtschaftsform überzuführen.
II. Fürsorge für den Osten und Norden Berlins
Gegen die Hochbahngesellschaft ist der Vorwurf erhoben worden, sie habe den Osten und Norden Berlins bei ihren Linienplänen nicht genügend berücksichtigt. Dieser Einwand wird durch die tatsächlichen Verhältnisse widerlegt.
Die Hochbahngesellschaft ist es gewesen, die schon mit ihrer zur Warschauer Brücke geführten Stammlinie dem Osten die Vorteile des Schnellverkehrs gebracht hat. Der seit jeher beklagte Mangel einer Ostwestverbindung durch das Massiv der Potsdamer Bahn hindurch ist von der Gesellschaft bereits im Jahre für den Personenverkehr abgestellt worden und die Leistungsfähigkeit dieser direkten Verbindung des Ostens mit dem Westen wird von ihr späterhin durch Inbetriebnahme der jetzt im Weiterbau begriffenen Verstärkungslinie Wittenbergplatz - Gleisdreieck auf ein Höchstmaß gesteigert werden. Damit glaubt die Gesellschaft eines der wichtigsten Verkehrsbedürfnisse des Berliner Ostens befriedigt zu haben.
Der Norden Berlins wurde durch die Linie vom Alexanderplatz zum Nordring erschlossen, und der Augenschein lehrt, daß gerade diese Linie in hervorragenden Maße den Interessen des Geschäfts- und Angestelltenverkehrs dient. Der Bau anderer Nordlinien wurde städtischerseits nicht als Aufgabe der Hochbahngesellschaft angesehen; die im Plan eingetragenen beiden Nordsüdlinien sind der Stadt vorbehalten.
Durch die geplante Frankfurter Allee-Linie endlich hatte die Hochbahngesellschaft dem Osten eine weitere Schnellbahnverbindung zugedacht. Leider konnte sie wegen des Kriegsausbruchs nicht mehr in Angriff genommen werden, und die Bedingungen für ihre Ausführung liegen jetzt aus wirtschaftlichen Gründen besonders schwierig. Gegenüber der Vorkriegszeit sind die Baukosten auf etwa das 1 3/4 fache gestiegen, und der Zinsfuß stellt sich auf ungefähr das Doppelte.
Dadurch würde der Zinsendienst 3½-mal so hoch werden wie früher. Mit Rücksicht darauf, daß unter den geänderten Anschauungen der Anspruch der Fahrgäste auf Sitzplätze gegenüber der Vorkriegszeit geringer geworden ist, wird sich zwar eine Ersparnis an Betriebsleistungen ermöglichen lassen; anderseits sind aber die Ausgaben durch Steigerung der Löhne und Materialpreise höher geworden. Wenn man selbst annimmt, daß nur das 2 ½- bis 3fache des früheren Zinsendienstes in Frage kommt, so ist dieser Betrag aus den heutigen Fahrpreisen nicht zu erwirtschaften, denn die gegenwärtigen Schnellbahntarife betragen noch nicht das l ½fache der Friedenssätze. Nun kann geltend gemacht werden, daß nach früheren Vorgängen die reiferen älteren Linien die Rentabilität der jungen Linien stützen müssten. Unter den gegenwärtigen Tarif-Verhältnissen ist das nicht möglich, da die Schnellbahnfahrpreise heute unter dem Druck der konkurrierenden Straßenbahntarife stehen. Bekanntlich zeichnet sich Berlin vor fast allen größeren deutschen Städten dadurch aus, daß es - unter Berücksichtigung der Fahrtlängen - die niedrigsten Straßenbahntarife hat. Die Stadt ist in der Lage, der Straßenbahn Abgaben und Zinslasten zu erleichtern, sie hat sich daher auch nicht entschließen können, den Lohnerhöhungen der jüngsten Zeit mit dem Straßenbahntarif zu folgen.
III. Finanzpolitik der Hochbahngesellschaft
Es ist bemängelt worden, daß sich die Hochbahngesellschaft bei der Wahl ihrer Linien ohne Rücksicht auf die Allgemeinheit lediglich von finanziellen Interessen habe leiten lassen.
Die Darlegungen unter I. zeigen, unter welchen Zwangsverhältnissen die Linien der Hochbahngesellschaft entstanden sind. Die Trasse der ersten Linie lag wirtschaftlich keineswegs besonders günstig, da sie außerhalb der alten Ringmauer und in großer Ausdehnung über unbebautes eisenbahnfiskalisches Gelände geführt werden mußte, bevor sie den verkehrsreicheren westlichen Hauptstraßenzug erreichte. In Finanzkreisen war damals die Ansicht verbreitet, daß die neue Schnellbahn zwar ein „technisch sehr interessantes Experiment" sei, aber wegen der außerordentlich hohen Anlagekosten zu einem wirtschaftlichen Erfolge nie führen könne. Es muß der Deutschen Bank als Verdienst angerechnet werden, daß sie sich trotzdem entschloß, das Risiko der Finanzierung auf sich zu nehmen. Hätte sich das Mißtrauen der Finanzkreise bestätigt, so wäre die Entwicklung des Schnellbahnwesens in Deutschland auf längere Zeit gehemmt, wenn nicht in Frage gestellt worden.
Im übrigen ist bereits ausgeführt, daß die Verlängerungen der Stammlinie durch die Verhältnisse gegeben und für die Linienführung der Aufschließungsbahnen nach dem Westen und Südwesten die Wünsche der Gemeinden bestimmend waren. Die Hochbahngesellschaft war also überhaupt nicht in der Lage, ihre Linien etwa nach eigenen Wünschen auszuwählen.
Im übrigen hatte die Gesellschaft als Erwerbsunternehmen natürlich die Pflicht, für das ihr von den Aktionären überlassene Kapital eine angemessene Verzinsung zu erwirtschaften, nur so konnte sie sich für die weitere Durchführung des Unternehmens das Vertrauen des Geldmarktes und die Möglichkeit der Ausgabe neuer Werte erhalten. Wie unzutreffend die Anschauung ist, daß sie sich zu stark von finanziellen Gesichtspunkten habe beeinflussen lassen, beweist die folgende Zusammenstellung der seit der Eröffnung ihrer ersten Linie gezahlten, gewiß bescheidenen Dividenden.
Dividenden seit der Betriebseröffnung
| Jahr | Dividende % |
|---|---|
| — | |
| 4 | |
| 5 | |
| 5½ | |
| 6 | |
| 6 | |
| 6 | |
| 6 | |
| 6 | |
| 6 | |
| 6 | |
| 6½ | |
| - | 5 |
| 5 | |
| 6 | |
| 6 | |
| 6 |
Daß die Gesellschaft bei ihren Maßnahmen durchaus die Rücksicht auf die Allgemeinheit im Auge behielt, dafür möge auch der Umstand sprechen, daß sie, auch hier städtischen Wünschen Rechnung tragend, bei ihren Linien zum ersten Male und mit erheblichen Kosten eine weitgehende architektonische Durchbildung der Bauwerke vorgenommen hat, zu einer Zeit, in der bei ausländischen Schnellbahnen, die zwar heute diesem Vorgehen immer mehr folgen, von solcher Ausgestaltung noch ganz abgesehen wurde.
Anhang
Auszüge aus dem
BERICHT
über die
Gemeinde-Verwaltung der Stadt Berlin
in den Verwaltungsjähren bis .
Zweiter Teil.
Auszug von Seite 11 des Berichtes
Die Anlage von Bahnen unmittelbar unter dem Straßenpflaster, die durch Tagebau erfolgen kann, hat wegen der Verkehrsstörung während des Baues und wegen des Zusammentreffens mit zahlreichen im Strassenkörper eingebetteten Kanälen, Röhren und Leitungen der Kanalisation, der Gas-, Wasser-, Elektrizitätswerke usw. erhebliche Bedenken.
Namentlich die letzteren Schwierigkeiten veranlassten den früheren Leiter der Tiefbauverwaltung, den Geheimen Baurat Hobrecht, den verdienstvollen Schöpfer der Kanalisation, der Herstellung von Unterpflasterbahnen hier entgegenzutreten.
Auszug von Seite 12 des Berichtes
Aus dem von Siemens & Halske vorgelegten Entwurf eines Netzes von Hochbahnlinien wurde in Vorberatungen von Vertretern des Polizeipräsidiums, der Ministerial-Bau-Kommission, der hiesigen Eisenbahn-Behörden, der beteiligten Gemeinden und der Unternehmerin die Trace einer zunächst herzustellenden Linie von der Warschauer Brücke über das Hallesche Tor, den Nollendorfplatz bis zum Zoologischen Garten mit Abzweigung nach dem Potsdamer Platz festgestellt.
Auszug von Seite 16 oberer Absatz des Berichtes
Die Verkehrs-Deputation schloss sich demgegenüber der Auffassung des Stadtbaurats Krause an, dass jede Unterpflasterbahn unabhängig von der Hochbahn und von jeder anderen Linie gleicher Art betrieben werden müsse, um eine möglichst grosse Betriebssicherheit und schnelle Zugfolge zu erreichen. Ein nach diesen Gesichtspunkten von der Verkehrs-Deputation aufgestellter Plan eines umfassenden Netzes von Unterpflasterbahnlinien, der zur Ermöglichung des Umsteigens an allen Kreuzungs oder Treffpunkten Turmstationen vorsah, fand die Billigung des Magistrats.
Auszug von Seite 16 unterer Absatz des Berichtes
Die Durchführung dieser Pläne stiess aber auf Schwierigkeiten, die in der Berichtsperiode nicht überwunden werden konnten. Allerdings wurde die Absicht, zwei Unterpflasterbahnlinien an die Hochbahn anzuschliessen, von Siemens & Halske nicht weiter verfolgt. Ihr Wunsch aber, die wichtigste Schnellbahnverbindung, nämlich eine vom Potsdamer Platz durch die Voss- und Mohrenstrasse nach dem Spittelmarkt, und weiter nach Osten führende Linie als Fortsetzung und im unmittelbaren Anschluss an die Hochbahn zu bauen und zu betreiben, fand trotz des Widerspruchs der Vertreter der Stadtgemeinde, welche diese Linie als städtische Bahn ausführen wollte, in mehrfachen Besprechungen im Polizeipräsidium und im Ministerium der öffentlichen Arbeiten die Billigung der Staatsbehörden.
Auszug von Seite 17 des Berichtes
Nachdem die Versuche, ein Unterpflasterbahnnetz unabhängig von der Hochbahn herzustellen, als gescheitert betrachtet werden mussten, erschien es notwendig, zunächst sich eine zuverlässige Grundlage dafür zu verschaffen, welche Schwierigkeiten das städtische Versorgungsnetz von Leitungen der Ausführung von Unterpflasterbahnen verursache, und welche Mittel im allgemeinen für den Bau einer grösseren Unterpflasterbahnlinie aufzuwenden sein würden. Für die Aufstellung eines genauen Projektes nebst Kostenanschlag empfahl sich die Nordsüdlinie, weil diese die meiste Aussicht zu haben schien, in nicht allzuferner Zeit zur Ausführung zu kommen.
Anmerkung:
Der Text wurde orthographisch im Zustand von gelassen.